Die heimlichen Milliarden-Tricks des Online-Giganten

Foto: Aneta Pawlik

Laut einer Studie des Max Borges Agency würden 44 Prozent der US-amerikanischen Jugendlichen lieber ein Jahr lang auf Sex verzichtet, anstatt sich ihren Amazon-Account sperren zu lassen. Die teils geliebte, teils verhasste Plattform ist für viele das Zentrum ihres Online-Konsums. In Deutschland geht einer von zwei Euros, die im Online-Handel einkassiert werden, an Amazon. Geld, das nicht nur dem stationären Handel verloren geht, sondern uns allen. Denn zum Erfolg des Online-Giganten gehört auch eine haarsträubende Steuernpolitik. — Zahlt Amazon Steuern?

Vom Garagen-Startup zum Mega­store

„Relentless“. — Das bedeutet „erbarmungslos“, „unerbittlich“, „unbarmherzig“. So wollte der Amazon-Gründer 1994 sein Unternehmen eigentlich nennen. Freunde rieten ihm davon ab. Ein zu brachialer Name für die geplante Online-Plattform. Es war ein guter Tipp. Jeff Bezos hatte größten Erfolg mit seinem Garagen-Startup in Seattle. Er wurde damit zum reichsten Mann der Welt. – Wer heute „www.relentless.com“ in den Browser tippt, landet immer noch bei „Amazon“, benannt nach dem größten Fluss der Welt.

Aus dem Online-Handel für Bücher wurde in wenigen Jahren ein internationaler Weltkonzern. Mit einem Umsatz von über 250 Milliarden und einem Börsenwert von rund 800 Milliarden US-Dollar war Amazon neben Microsoft das wertvollste Unternehmen überhaupt.

Von A wie „Aachner Printen“ bis Z wie „Zyklustee“ liefert das Online-Kaufhaus inzwischen wirklich alles. 229 Millionen Produkte sind zur Zeit im Sortiment. Es werden täglich mehr. Denn schon seit 2002 kann jeder auf der Online-Plattfom Amazon verkaufen.

Um den digitalen Händler ist mittlerweile ein Imperium von über zwei Millionen aktiven Vertragspartnern gewachsen ist, den sogenannten „Sellern“. Das sind meist kleine und mittelständische Untermehmer, welche die digitale Infrastruktur, die Amazon anbietet, nutzen. Viele als „Fulfillment by Amazon“-Verkäufer, denen der Konzern sogar die komplette Logistik inklusive Lagerung, Werbung, Verpackung und Versand organisiert.

Ein cleveres Geschäftsmodell, denn Amazon verdient bei den Umsätzen der Seller fleißig mit: Für jeden Verkauf muss ein Seller einen Euro und bis zu fünfzehn Prozent des Verkaufspreises an Amazon abführen. Versand, Lagerung, Verpackung, Werbung, Etikettierung, Verschließen der Waren mit Klebeband, Abwicklung bei Rücksendung etc. kosten selbstverständlich extra. Außerdem bietet Amazon den Sellern auch noch kostenpflichtige Werbung an, um die Sichtbarkeit gegenüber den konkurrierenden Sellern zu erhöhen. So bleibt bei jedem Kauf-mich-Klick rund 20% des Umsatzes beim Mutter-Unternehmen kleben. Ein gutes Geschäft für Bezos.

Regelmäßig berichtet Amazon werbewirksam von Händlerinnen und Händlern, die Millionenumsätze einfahren. Solche Einzelfälle gibt es sicherlich. Doch sie liegen im Promillebereich. Der Verkaufsalltag auf der Online-Plattform ist in der Regel brutal und wenig lukrativ. Lediglich 140.000 der Seller generierten 2018 einen Jahresumsatz von mehr als 80.000 Euro. Das klingt zunächst viel, zieht man aber Gebühren, Steuern und vor allem Warenankauf ab, kratzt die Marge rasch am Existenz-Minimum. Der Gewinner ist vor allem Amazon.

Doch Bezos Geschäftsmodell geht noch weiter: Durch den Datenpool, den Amazon mit jedem Klick sammelt, kann das Unternehmen bestens auf Kundenwünschen und aktuelle Verkaufstrends reagieren. Die Erfolgsprodukte der Seller werden dann durch Eigenmarken ersetzt. Arabella (Dessous), Beauty Bar (Kosmetik), Franklin & Freeman (Herrenschuhe), Mama Bear (Babyprodukte), Single Cow Burger (Tiefkühlkost), Strathwood (Gartenmöbel) oder Lifelog (Hundefutter) heißen nur einige der von Amazon gegründeten Marken, mit denen das Unternehmen alle Segmente an sich reißt, die der Algorithmus als lukrativ enttarnt hat. Der Journalist Johannes Bröckers rechnet nach, dass es Amazon in den USA so gelungen ist, in den letzten zehn Jahren rund 85.000 lokale Einzelhändler und 35.000 Hersteller vom Markt zu drängen.

So spart Amazon Steuern: Die Tricks des Weltkonzerns

Seine Einnahmen generiert das Unternehmen mit dem sympathischen Lächeln von A bis Z in seinem Logo nicht nur durch den Online-Handeln. Amazon besitzt mit dem Server-Dienst AWS knapp zwei Drittel aller Datenwolken. Mit einer Marge von 30 Prozent ist der Gewinn von AWS größer als der weltweite Umsatz von McDonalds.

Kein anderes Unternehmen der Welt gibt dabei so viel Geld für Forschung aus. Wissen ist Macht. Das hat Amazon begriffen und investiert in Datenanalyse, Roboter-Technik, Künstliche Intelligenz, Luft- und Raumfahrt. Amazon hält heute schon über 2000 Patente, unter anderem für die Paket-Auslieferung mit Drohnen-Robotern oder Logistik-Zentren unter Wasser. Neben der nächsten Mondlandung ist unter dem Projektnamen „Kuiper“ auch ein eigenes Satelliten-Netz mit 3236 Satelliten geplant. Hier geht es um die Versorgung von vier Milliarden neuen Mobilfunk-Kunden auf der ganzen Welt.

Reinvestieren in große Projekte lohnt sich. Vor allem, um die Gewinne möglichst klein zu halten. So spart Amazon Steuern und das Geld bleibt im Unternehmen. Wie viele andere Giganten nutzt Amazon darüber hinaus ein ausgeklügeltes System von Schlupflöchern und Tricks zur Steuervermeidung. Die Ergebnisse sind haarsträubend.

Erst kürzlich brachte die Washington Post einen Bericht ans Licht, der die Steuervermeidung Amazons in den USA offenlegte. Im Jahr 2018 hat der Konzern hier einen Gewinn von 11,2 Milliarden Dollar erwirtschaftet. Durch geschickte Reinvestitionen, Umschreibungen und Steuerbefreiung kam das Unternehmen allerdings nur auf einem effektiven Steuersatz von minus (!) einem Prozent. Trumps Steuerpolitik machte das möglich. So kassierte der Online-Riese eine Rückerstattung von 112 Millionen Dollar Steuer-Gelder. Damit zahlte das komplette Unternehmen Amazon nicht nur Prozentual, sondern auch in harten Zahlen, weniger als jede noch so ärmste Privatperson.

Nach einer Analyse des Institute for Taxation and Economic Policy hat der Konzern von 2009 bis 2018 einen Gewinn in Höhe von 26,5 Milliarden Dollar erzielt. Amazon zahlte für diesen Zeitraum Steuern in Höhe von 791 Millionen US-Dollar. Dies ist ein effektiver Steuersatz von drei Prozent. Laut in den USA geltenden Gesetzen sollten dies allerdings rund 35 Prozent sein. Amazons Steuer-Ersparnis: 8,5 Milliarden US-Dollar in zehn Jahren.

Amazons Steuern und die Luxemburg Leaks

Auch in Europa spart Amazon Steuern. Eine zentrale Strategie ist hier die Verkleinerung der Einnahmen durch fiktive Lizenzgebühren und die Luxemburger Steuerpolitik.

Der Europäische Firmensitz von Amazon liegt nicht zufällig in Luxemburg. Hier hat der Konzern eine Gesellschaft namens Amazon EU Sarl LuxOpCo gegründet. Diese zahlt der ebenfalls in Luxemburg ansässigen Tochtergesellschaft Amazon Europe Technologies Holding SCS Lizenzgebühren für die Nutzung von geistigem Eigentum. Eine fiktive Konstruktion.

So werden Amazons Einnahmen jährlich um rund 500 Millionen Euro verkleinert. Der Trick: Nicht nur der Mutterkonzern kann die Ausgaben von den Steuern absetzen. Wegen der undurchsichtigen Steuerpolitik Luxemburgs sind die Lizenzeinnahmen, die Amazon de facto an die eigene Tochtergesellschaft SCS zahlt, frei von stattlichen Abgaben.

Amazon hat in Deutschland 2012 10,2 Millionen Euro Gewinn eingefahren. In Luxemburg — vergleichbar mit der Bevölkerungsgröße von Dresden oder Essen — dagegen erstaunliche 118 Millionen. In Europa hat der Konzern so in den letzten zehn Jahren über zwei Milliarden Euro an Steuern eingespart.

Dass solcherlei Steuer-Schiebereien vieler internationaler Konzerne nicht ganz sauber sind, wurde bereits 2014 in den sogenannten Luxemburg Leaks aufgedeckt. Daraufhin wurde ein Sonderausschuss des EU-Parlaments einberufen. Die Arbeit dieses TAXE-Commitees verlief allerdings im Sand. Mehrere europäische Finanzministerien behinderten die Ermittlungen. Schließlich scheiterte der Ausschuss ganz profan an fehlenden Dokumenten. Die weitere Aufklärung war nicht möglich. Auch Rechtshilfegesuche des Nordrhein-Westfälischen Finanzamtes oder der „Ermittlungsgruppe organisierte Kriminalität und Steuerhinterziehung“ lehnte Luxemburg ab. Die Steuerbefreiung der großen Unternehmen ist politisch gewollt.

Der französische Wirtschaftsprüfer Antoine Deltour, der 2014 mit den Luxemburg Leaks auf diese zwielichtigen Steuervermeidung aufmerksam gemacht hatte, wurden wegen der Veröffentlichung vertraulicher Dokumente übrigens verurteilt. In erster Instanz bekam Deltour neun Monaten Gefängnis auf Bewährung sowie einer Geldbuße von 1.500 Euro aufgebrummt. Letztlich wurde Deltours jedoch der Status des Whistleblowers zugesprochen, das Strafmaß auf den symbolischen Wert von einem Euro herabgesetzt.

Geändert hat sich nach den Enthüllungen faktisch nichts. Nach wie vor funktioniert das Luxemburger Steuerspar-Modell. Zu den Nutznießern gehören neben Amazon eine stark wachsende Zahl an internationalen Playern wie Apple, eBay, Ikea oder die Deutsche Bank.

Amazons Steuer-Politik und die Folgen

Amazons Steuer-Politik ist das Beispiel einer globalen Entwicklung. Die meisten internationalen Konzerne weisen heute ihre Gewinne nicht dort aus, wo sie tatsächlich anfallen. Dies gilt nicht nur für große Online-Unternehmen. Die Verortung von Gewinn in der digitalen Welt ist aber ungleich schwerer. Das Internet hat keinen Firmensitz.

Niemand zahlt gern freiwillig Steuern. Die Tricks und Schlupflöcher sind in der Regel legale Konstruktionen. Sie werden von weiten Teilen der Politik befürwortet. Das macht sie nicht weniger ungerecht. Denn während kleine und mittelständische Unternehem zum sozialen Allgemeinwohl, zur Finanzierung von Bildung, Kultur und Infrastruktur beitragen, bekommen die großen Player in diesem Sinne staatliche Zuschüsse. — Eine Veränderung dieser Verhältnisse setzt den Wechsel der politischen Kultur voraus.

Je mehr sich die Meldungen über Steuerverluste in Milliardenhöhe häufen, wächst allerdings auch der Druck auf die Politik. Erste Bemühungen zeichnen sich bereits ab. So hat Frankreich Anfang 2020 eine Digitalsteuer eingeführt, die das Problem der Steuer-Schiebereien von Online-Unternehmen wie Amazon und Co erschweren soll. Auch auf OECD-Ebene wird diskutiert, wie das Problem europaweit zu lösen ist. Die USA arbeiten ebenfalls seit Trumps Steuerreformen daran, mehr Kapital im eigenen Land zu behalten. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Verhältnisse tatsächlich ändern.


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Sebastian Brüning

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